Wind, Wasser und Holz – der Herbst ist da.
Es regnet. Nach einem langen sonnigen und sehr warmen Sommer genieße ich gerade diese kühle Luft, den Regen im Gesicht und das wohlige Gefühl, bei einer Tasse Tee den Regentropfen beim Abperlen an der Scheibe zuzusehen.
Licht und Schatten
Sommer ist für mich das lebendige Außen. Das „Leben auf dem Präsentierteller“, Aktion, sich-Zeigen und das Licht. Der Sommer gibt Energie, pulsiert und fühlt sich lebendig an. Manchmal wird mir das zu viel. Das mag sich seltsam anhören, aber ich vermisse in den Sommermonaten oftmals eine Höhle, die mir als Rückzug dient. Ich mag die Dämmerung, die Dunkelheit, das Gemütliche. Im Sommer habe ich das abends am Lagerfeuer oder wenn morgens die Sonne auf- und abends wieder untergeht. Den Tag erlebe ich aufgrund des gleißenden Lichts häufig als anstrengend und irgendwie sehr getrieben. Wer sitzt schon drin bei einer Tasse Tee wenn draußen die Sonne scheint und die Temperaturen die 30-Gradmarke knacken?
Jetzt kommt meine Zeit.
Der Herbst mit seinen wundervollen Farben, dem zauberhaften Licht, den nebligen Feldern und kürzeren Tagen. Eine Zeit, in der Rückzug erlaubt ist, in der Gemütlichkeit einkehrt und ich den Moment viel bewusster wahrnehmen kann als im Sommer, wenn gefühlt alles so schnell an mir vorüberzieht. Ich freue mich auf bunte Wälder, regnerische Tage, stürmische See und das gemütliche Beisammensitzen wenn draußen die Herbststürme toben.
Jetzt, wo mein Cello eingezogen ist, umso mehr, denn es lässt mich noch viel tiefer eintauchen in diese leicht melancholische Stimmung des „Vergehens“. Wo Sommer Dur ist, ist der Herbst für mich Moll und diese Töne mag ich einfach am liebsten.
Irischer Herbst
Ich bin gespannt auf das Herbstlicht in Irland kommende Woche, auf die raue See, die Farben, die Stimmung. Denn bisher kenne ich das Land nur in Frühjahr und Sommer und habe vergeblich auf Regen gewartet. Schottland war im letzten Herbst/Winter für mich absolut faszinierend, weil Sonne und Regen die wundervollsten Lichtspiele hervor gezaubert haben und ich mir in den Highlands so wundervoll „verloren“ vorkam. Nicht, dass ich gerne „verloren“ sein möchte, aber dieses Einssein, das Alleinsein mit sich selbst in der Natur vertieft die Innenschau und lässt mich total ruhig werden. Ich kann mir ohne Ablenkung selbst begegnen und fokussierter wahrnehmen, was ich fühle. Das ist großartig.
Piano und Forte
Der Sommer ist für mich zudem forte. Alles ist tagsüber sehr laut, das Leben auf den Straßen pulsiert, die Menschen drängen sich in Freibädern und Eisdielen. Ich bin kein Mensch der Massen. Mir fällt es eher schwer, mich inmitten vieler Leute wohl zu fühlen. Umso willkommener ist mir der Herbst, wo die Geschwindigkeit gedrosselt ist, weniger Menschen durch die Straßen hetzen und eine wohlige Ruhe einkehren darf. Herbst ist piano…
Ähnlich geht es mir übrigens mit dem Meer. Das Mittelmeer im Sommer ist für mich ein Graus. Menschen drängen sich an den Stränden, tummeln sich im badewannenwarmen Meer. Ich fühle mich nicht wirklich wohl damit. Für mich braucht es die Wellen, das stürmische Aufbegehren des Atlantik, die Felsküste und das Gefühl der Urgewalten, die wirken ohne dass man etwas dagegen tun oder sich dagegen wehren könnte. Vielleicht hat es etwas mit meiner Haltung dem Leben gegenüber zu tun.
Ich spüre gerne die Kraft der Natur, mein Sein in diesem unglaublichen Wunder, die Hingabe an das Unausweichliche, das Aufgeben. Aller Widerstand ist mir kein Freund und ich komme dann in Frieden mit mir, wenn ich mich sozusagen dem „unterwerfe“ was ist, ohne etwas verändern zu wollen. Es geht mir mit den Kindern nicht anders. Wenn ich sie in ihrer Natur annehme, sie sehe, an ihrer Seite lebe, sie trage, halte, sein lasse und mich darin einfach als Mensch ergebe, geht es mir sehr viel besser, als wenn ich versuchte meine Maßstäbe, Erwartungen und „Änderungswünsche“ anzulegen.
Das Leben als solches ist Hingabe an die Überforderung der Unkontrollierbarkeit und so, wie ich es in der Natur die mich umgibt erlebe, erfahre ich es auch IN mir und im Zusammenleben mit meiner Tochter und meinen Söhnen. Ich möchte noch einmal Kahlil Gibran zitieren, der diese Natur der zwischenmenschlichen Beziehung, aber für mich eben auch zur Natur allen Seins, so wunderbar zusammenfasst:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,
aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen könnt,
nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein,
aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts
noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder
als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit,
und er spannt euch mit seiner Macht,
damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Laßt eure Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.
Die Sehnsucht des Lebens nach sich selber
– ein so starkes Bild für mich.
Ich erfasse mich als Teil der Natur. Es geht darum anzunehmen und mich nicht über sie zu erheben. Das geht nur in Hingabe und Demut und vor allem ohne Bewertung und äußere Maßstäbe. Mir hält es immer wieder vor Augen, dass ich alles bin und zugleich nichts. Vergänglich, bedeutungslos und als Mensch begrenzt. Wozu besitzen? Wozu streben? Es ist alles da in genau diesem Moment, was meine Seele braucht, um wachsen zu können. Ich mache Erfahrungen, ich lebe das Leben das für mich bestimmt ist und je mehr ich das zulassen kann, umso mehr werde ich erkennen, wer ich wirklich bin. „Das letzte Hemd hat keine Taschen“ heißt es und es steckt so viel mehr Wahrheit in diesem Satz als auf den ersten Blick erscheint.
Wir haben nichts, wir besitzen nichts, wir sind. Und was wir glauben zu besitzen ist nicht von Dauer, wird uns verlassen oder wir es gehen lassen (müssen). Wozu also streben nach mehr? Wozu verzweifeln an „zu wenig“? Können wir diese Beurteilung nicht loslassen? Wer definiert denn was genug, ausreichend, zu wenig oder zu viel ist? Wer setzt den Maßstab und möchten wir dem entsprechen?
Dem Kreislauf hingeben
Es ist immer genau das in unserem Leben präsent, was wir brauchen, um daran zu wachsen. Vergessen wir nicht, dass dieses Leben für uns, in uns und durch uns existiert. Wären wir nicht in unseren Körper inkarniert, wäre dieses, unser Leben gar nicht da. Insofern dürfen wir dankbar sein, uns darin wohlfühlen in jeder seiner Phasen und Herausforderungen, in Sommer wie Herbst, Winter wie Frühling und uns in die Erfahrungen dieses Kreislaufs einreihen.
Der Herbst erinnert mich an die Vergänglichkeit, an das nahende Sterben, das Loslassen, den Abschied. Wenn die Blätter sich verfärben, von den Bäumen fallen, bis auf ihr Gerippe verwesend dem Baum bald als Dünger dienend mit der Erde eins werden. Wir unterscheiden uns nicht von ihnen.
Wir haben eine Aufgabe in diesem Leben, wir dienen, wirken und wenn unsere Zeit gekommen ist, dürfen wir diesen Köper wieder verlassen. Wir sind Teil eines Kreislaufs, eines Systems, das einander bedingt, dient und be-dient. Das darf uns ganz bewusst werden. Mich beruhigt dieser Gedanke.
Ich weiß, dass er vielen Menschen Angst macht und dass das Loslassen im Tod eine ganz schwierige Aufgabe bzw. Tatsache darstellt. Vor allem wenn man an Dingen, Besitz, Menschen festhält und sich über diese definiert und glaubt, dass das Leben mit dem Sterben der körperlichen Hülle endet. Wir können aber bereits im Leben „üben“, uns von diesem Besitzdenken loszusagen und in die Wahrnehmung dessen kommen, was wir essentiell sind. Und das ist weitaus mehr als ein Körper, ein Haus und ein Auto… Ich bin jedenfalls gespannt, wohin die Reise einmal noch geht…
Namasté und schaut Euch unbedingt die Vertonung von „Eure Kinder“/On children in englischer Sprache von Damien Rice an. Ich liebe es!
Katharina