„Meine Kinder“ sind nicht meine Kinder…
Wer kennt sie nicht, diese wundervollen Worte von Khalil Gibran, die so stark in Resonanz gehen mit uns und uns daran erinnern, dass wir junge Menschen zwar begleiten, sie aber nicht unser Eigentum sind. Ich füge sie hier noch einmal an, um sie in Erinnerung zu rufen:
Eure Kinder
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht
des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,
aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen könnt,
nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein,
aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts
noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder
als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit,
und er spannt euch mit seiner Macht,
damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Laßt eure Bogen von er Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.
Khalil Gibran
(* 06.01.1883, † 10.04.1931)
Verletzlichkeit
Wie schwer fällt es uns häufig, diese Worte – trotz eines tiefen Wissens um deren Wahrheit – auch zu leben. Wie schwer fällt es uns, den Anspruch des Besitzes loszulassen?
In meinem letztem Post auf Facebook fragte ich, was Ihr Euch von mir wünscht und eine sehr berührende Antwort war: Verletzlichkeit.
Heute nehme ich diesen Wunsch zum Anlass, meine Verletzlichkeit zu teilen, da sie ein so wertvoller Schlüssel zu dem ist, was ich wahrhaftig bin. Sie ermöglicht uns allen Berührung und wahrhaftige Beziehungen und genau das wünsche ich mir immer mehr in meinem Leben.
Gemeinschaft leben – Eins sein
In der letzten Woche durfte ich mit wundervollen Menschen in Gemeinschaft in meinem Zuhause in Irland Zeit verbringen. Wir lebten mit 18 großen und kleinen Menschen das Leben und ein jeder durfte und konnte sein, wer er war. Keine Masken, keine Fassaden, kein Müssen und Sollen, sondern einfach ein Feiern des (So-)Seins. „Meine“ Kinder waren nicht dabei, da sie derzeit mit ihrem Papa unterwegs sind und erst Ende der Woche nach Irland kommen werden.
Der anfängliche zarte Schmerz darüber und mein Impulsgefühl, dass sie „fehlen“, wich immer mehr der tiefen Einsicht, dass sie – trotz körperlicher Abwesenheit – natürlich da waren. Alles, was ich erfahre, spüren sie. Alles, was ich bin, teile ich mit ihnen. Es spielt keine Rolle, ob „meine Kinder“ oder andere junge Menschen diese unmittelbare Erfahrung der Gemeinschaft und des liebevollen Miteinanders in dieser Woche hier gemacht haben. Wir sind eins. Wir sind verbunden und darin jederzeit füreinander da und miteinander vernetzt.
Jede Erfahrung, die wir in diesem Feld machen durften, kann für jedes Kind der Erde spürbar werden.
Für uns alle, die wir hier Gemeinschaft erfahren durften, wurde klar, dass dies das Gefühl eines wahrhaftigen Seins ist, ein Weg, den wir gemeinsam gehen möchten und dass es nun in die Realisierung gehen kann. Wir möchten eine Gemeinschaft leben, in der jeder Mensch – ob groß oder klein – sein Potential entfalten und darin getragen sein kann. Die Ideen flossen, die nächsten Treffen und Umsetzungen wurden visioniert und gestern Abend wurde mir dann bewusst, was das wiederum für mich und meine Familie bedeuten kann.
Loslassen und vertrauen
Der Vater der Kinder möchte sie vermutlich nicht gehen lassen und steht zudem hinter dem Schulsystem, für das sich die Großen im letzten Jahr freiwillig entschieden haben. Sie wollten es ausprobieren und Erfahrungen sammeln und ich erziehe sie nicht – auch nicht zur Freiheit. Insofern gingen sie diesen Schritt und ich einen Kompromiss ein: Zeitweise wieder Deutschland, damit ich bei ihnen sein und mit ihnen – abwechselnd mit ihrem Vater – leben kann. Ich nahm das Unwohlsein und die Zerrissenheit in mir an, spürte in die Widerstände und versuchte, mich zu verbiegen. Dass das nicht dauerhaft „die Lösung“ für mich sein könnte, war mir schnell bewusst, aber ich sah keine Alternative.
Jetzt erfahre ich ein radikales JA zu mir und meinem „Menschsein“ und ich spüre den Knoten im Hals, die Enge. Was sich zunächst einmal kräftig zuschnürte und schmerzte, wurde fast umgehend und ganz langsam weicher. Je tiefer ich das Gefühl fühle und es einfach da sein lasse, umso mehr erkenne ich, wie ich ihm begegnen kann – und von welcher „Position“ aus. Nicht etwa aus der Rolle der Mutter, der Ex-Frau, des Egos, sondern aus der Liebe.
Was, wenn der Papa die Kinder nicht mit in die Gemeinschaft gehen lässt? Was, wenn er seinen „Besitzanspruch“ geltend macht und es mir versagt, die Kinder dort zu begleiten und mit ihnen zu leben? Was, wenn er mir nicht vertraut und seine Verlustangst den Kindern diese Erfahrung „versperrt“, was wenn die Kinder gar nicht mit kommen wollen? Alles Spekulationen, Illusionen meines Verstandes. Ich stellte mir aber die Frage: Gehe ich unter oben genannten Umständen zurück in den Kompromiss & schmeiße mich sozusagen selbst „über Bord“? Lebe ich dann eine „minimierte“ Version meines Selbst, um zu entsprechen und meinen Schmerz zu betäuben? Ein ganz klares NEIN.
Sei wer Du bist und erkenne Dich darin
Jeder einzelne von uns ist ein selbstständiger und einzigartiger Mensch. Du bist ein Wesen, dessen Weg auf der Erde wir nicht kennen. Ja, wir kennen auch unseren eigenen nicht!
Wir können uns jederzeit entschieden, ob wir unserem unbekannten, unsicheren, nicht mit dem Verstand erklärbaren Seelenplan folgen, oder dem Widerstand gegen das Unkontrollierbare, das Unbekannte und den Schmerz. Ich gebe meinem Schmerz und meiner Angst den Raum, den sie brauchen, um gehen zu dürfen. Aber ich folge ihnen nicht mehr. Mein Weg ist der, den das Herz spricht. Und wahrhaftige Liebe lässt los – so weh es vielleicht auch tut.
Wenn meine Kinder nicht dabei sein wollen, ist es ihre freie Entscheidung. Wenn sie dabei sein sollen, werden sie es sein. Wie auch immer ihr individueller Weg aussehen mag, ich möchte, dass sie ihn gehen – egal was ihr Vater oder ich uns wünschen. Das Füttern des Ego hat ein Ende und ich werde mir bewusst darüber, dass es im Grunde auch keine Rolle spielt, welche jungen Menschen ich in dieser Gemeinschaft begleiten und tragen darf und ob es „meine Familie“ ist, mit der ich zusammen leben werde. Ich durfte erfahren, dass Familie ein Gefühl der Verbundenheit ist, der Wahrhaftigkeit, des Vertrauens und der bedingungslosen Liebe und Annahme. Es werden immer genau die Menschen mit mir sein, die in meinem Leben – und ich in ihrem – gerade richtig sind. Es geht dabei um etwas viel umfassenderes und größere, etwas wichtigeres als mein kleines hilfloses Ego, das sich in der Rolle als Mutter nichts sehnlicher wünscht, als mit den Kindern das Leben zu teilen. Das Angst hat, jemanden zu verlieren. Das sich gegen eine Transformation alter Muster sträubt.
Wie diene ich?
Ich diene keinem Menschen und auch nicht mir selbst, wenn ich mich an meine Kinder „klammere“ und ein Leben entsprechend der „Norm“ lebe, das aber nicht meines ist. Das entbehrt jeder Bewertung, denn natürlich gibt es zahlreiche Familien, in denen der eigene Ruf und das Sosein genau diesem Zusammenleben in der Ursprungsfamilie dient. Es dient jedoch niemandem (außer meinem Ego), wenn ich wider meinem Gefühl an etwas festhalte und mich auf Glaubenssätze versteife, die mir permanent einzureden versuchen, dass „das doch nicht geht“. Muster, die mir sagen, es sei falsch die Kinder ihren eigenen Weg gehen zu lassen, oder dem Vater kampflos ein „Mitspracherecht“ einzuräumen, wenn dies Umstände bedeutet, die in meinen Augen für alle Beteiligten nicht die „besten“ sind. Ich nehme die Bewertung raus und lebe. Ich bin. In diesem Moment wie in jedem einzelnen einfach ich. Nichts kann einem Menschen in meiner Umgebung mehr dienen, als Wahrhaftigkeit und Authentizität.
Nichts habe ich mehr zu geben, als mein Sosein und mein unverstelltes, nicht manipuliertes, wildes und freies Wesen.
Wege aus dem Schmerz
Dass diese Erkenntnis Schmerz auslöst ist klar. Dass sich meine Gedanken im Kreis drehen, auch. Dass ich eine gewisse Angst verspüre ist auch wahr und dass ich keine Ahnung habe, was richtig und was falsch ist ebenso. Aber ich fühle, wer und was ich bin und vertraue der tiefen Wahrheit meines Soseins. Jeden Schritt, den ich gehe, gehe ich als ich selbst – nicht in den Schuhen eines anderen (bin sowieso barfuß :-)), nicht als Person, nicht als Mutter, nicht als Ex-Frau, sondern in Liebe.
Ich habe keine Antworten auf all die Fragezeichen parat, aber spüre (und habe erfahren und gelernt), dass das Hineinleben in die Fragen selbst, das einzige ist, was mir Klarheit bringen kann. Nur in der Erfahrung fühle ich. Nur im unmittelbaren Erleben wird etwas für mich wahr oder unwahr. So erkenne ich vielleicht meine Bestimmung auf dieser Erde.
Nein, es lässt mich nicht kalt.
Nein, ich entscheide nicht „mal eben so“ und
ja, ich weine mir vor Berührtheit über die Schritte, die ich schlussfolgernd gehen werde, auch mal die Augen aus dem Kopf.
All diese Gefühle dürfen sein.
All diese Gefühle sind wichtig und richtig.
Aber ich folge nicht mehr dem ersten primitiven Impuls der Flucht, des Kampfes oder der Erstarrung.
Ich folge nicht mehr der Angst.
Ich folge der „göttlichen“ Führung, der alles zugrunde liegenden Liebe dem Leben selbst gegenüber, die mir in jedem Moment zunehmend zeigt, dass auch die „Stimme des Herzens“ dazu verleiten kann, mein Ego zu füttern. Wenn das Herz vor Liebe nach dem Zusammensein mit den Kindern „schreit“, bedeutet das noch lange nicht, dass ich reinen, offenen Herzens fühle und handle. Es kann ebenso spiegeln, dass sich umgehend mein Verstand zuschaltet und diese innere Stimme interpretiert. Das führt dann oft dazu, dass ich sie mir „passend“ zurechtlege und erkläre, um den Schmerz eines wirklich „wahrhaftigen Schrittes“ – so ich ihn denn gehe – nicht erleben zu müssen.
Du siehst: Es ist alles andere als leicht, Gefühle, Gedanken und die innere Stimme/göttliche Führung zu unterscheiden.
Aber ich bin auf dem Weg. Ich lerne. Ich erfahre. Ich liebe.
Mehr kann ich nicht tun.
Namasté,